Wenn eine Reisende in einer Winternacht – eine kleine Trilogie  (Teil 3)

Zeichnung Alt-Sieseby

Wenn eine Reisende in einer Winternacht nicht auf die Website des RKI schaut, kann so einiges anders
kommen als gedacht.

Ich habe bis vor kurzem in Berlin gelebt und wollte ich mich nicht einmal von einer Pandemie davon abhalten lassen, im Januar für mein Studium nach Kopenhagen zu ziehen. „Berlin bis Kopenhagen, das sind ungefähr sieben Stunden Zugfahrt, oder sechs mit dem Auto, es gibt sogar einen Radweg, was soll also schiefgehen?“, dachte ich mir und stieg mit naivem Optimismus und einem negativen Covid-Test in den Zug. Ich wollte zunächst zwei Nächte in Sieseby verbringen, um Oscar zu besuchen. Wir haben kannten uns aus Schottland und irgendwann zwischen Lockdown eins und Lockdown zwei hatte er die eigenwillige Entscheidung gefasst, von London nach Schleswig-Holstein zu ziehen, um bei Maria im Gasthof Alt Sieseby zu arbeiten. Die Gelegenheit für einen Besuch war gut, schließlich lag die Ansammlung an Orten, die auf -by enden genau auf dem Weg. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich noch nicht mit Sicherheit sagen können, was die Schlei genau ist (Fluss, See, Meerenge, Küste?). Das sollte sich schnell ändern. Denn irgendwo im Zug zwischen Hamburg und Eckernförde trafen allerlei besorgte Nachrichten auf meinem Handy ein: Ob mich die neuen Regeln denn betreffen würde? Ob ich jetzt zurückkommen würde? Zwischen Eckernförde und Rieseby wusste ich dann: ich dürfte auf Grund der neuen Reisebeschränkungen nicht mehr nach Dänemark einreisen, trotz Studienplatz und Wohnung in Kopenhagen. Um einen neuen Plan zu fassen war es jetzt jedoch zu spät, ich hatte mein Zimmer in Berlin natürlich längst aufgegeben. So saß ich also in Sieseby fest, am wohl schönsten Ort zum Festsitzen. Marias Gastfreundschaft und Großzügigkeit sei Dank – ich durfte bleiben, mit ihr und Oscar jeden Abend im Restaurant kochen, Wein trinken und sogar im schönsten Zimmer des ansonsten leeren Gasthofs wohnen. Morgens konnte ich schon vom Balkon aus die Schlei sehen, mittags am Ufer spazieren gehen und Tag für Tag beobachten, wie sich das Wasser – übrigens ein Meeresarm – mit dem launischen Schleswig-Holstein Wetter veränderte, von strahlend blau, zu stürmisch und grau. Ich besuchte die Uni digital, lernte ein wenig Dänisch und konnte mit dem Fahrrad ans Meer fahren, wenn ich eine Pause davon brauchte. Sofern jemals jemand sprichwörtliches Glück im Unglück gehabt hat, dann wohl ich, als ich in einer Winternacht nicht auf die Seite des RKI geschaut habe. Danke Maria! Ich erinnere mich gerne an diese ganz besondere Zeit und würde mich sehr freuen, im Sommer zurück zu kommen und im Gasthof Alt Sieseby zu arbeiten, bei strahlender Sonne und niedriger Inzidenz. Schöner als an der Schlei ist es in Kopenhagen nämlich auch nicht.

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